Hahnemann im Angesicht der Choleraepidemie von 1831

Von Siegfried Letzel

Samuel Hahnemann. Die VORLAGE zu dem Ölgemälde stammt aus dem Jahr 1835. Foto: Siegfried Letzel

Das Jahr 2020 wird wohl möglicherweise als ,Corona-Krise’ in die Geschichtsbücher eingehen – weniger aus medizinischer, sondern eher aus volkswirtschaftlicher Sicht. Bei all den Einschränkungen und Opfern, die die breite Gesellschaft erbringen musste, damit die medizinische Versorgung der Bevölkerung mit ausreichend vielen Intensivbetten und Beatmungsgeräten gewährleistet werden kann, darf man sich schon einmal die Frage stellen, wie es in vergleichbaren Szenarien wohl damals war, als es noch keine wissenschaftliche Medizin in der Form gab, wie wir sie heute kennen.

Epidemien und Pandemien, Infektionskrankheiten generell, hat es in der Menschheitsgeschichte schon immer gegeben. Bakterien und Viren waren noch nicht bekannt – nicht einmal Hygiene, wie sie heute für uns selbstverständlich ist. Vorwiegend in städtischen Gebieten und vor allem zu ,schlechten’ und zu Kriegszeiten waren Infektionskrankheiten, akut und chronisch, ständige Begleiter des menschlichen Lebens.

Zu Zeiten, als Seuchen grassierten, waren ihnen die Menschen ziemlich hoffnungslos ausgesetzt. Ärzte versuchten, ihren Patienten mit allen möglichen Therapieverfahren zu helfen, die Sterberate war jedoch oft unerträglich hoch.

So war es auch im Jahre 1831, als eine menschenmordende Seuche mit ungeheurer Schnelligkeit und Tödlichkeit von Russland kommend (ca. 200000 Opfer) Europa erfasste. Das Baltikum, Polen (1100 Tote alleine in Warschau) und Galizien waren schon betroffen. In Preußen und Österreich wurden die Grenzen geschlossen. Quarantänestationen wurden eingerichtet. Dennoch ließ sich diese asiatische Cholera nicht aufhalten.

In ihrer Unwissenheit waren die Ärzte hilflos. Aderlass war eine sehr verbreitete Behandlungsmethode, Blutegel und Schröpfköpfe wurden eingesetzt, aber auch Arzneien wie Kalomel (ein giftiges Quecksilberpräparat). Diese Arznei war zu jener Zeit das wesentliche Standardbrech- und -abführmittel und quasi in jeder Arzttasche vorhanden. Man sieht es schon: bei den meisten Therapieversuchen wurden die Patienten weiter geschwächt, was nicht wirklich förderlich war. Eine ,Pharmacopoea anticholerica’ (ein Arzneibuch mit Arzneien gegen die Cholera) enthielt 238 Arzneimittelbeschreibungen, die aus heutiger Sicht allesamt wirkungslos waren.

Zu dieser Zeit der Agonie und Hoffnungslosigkeit war es der in Meißen geborene Chemiker, Pharmakologe und Arzt Dr. Samuel Hahnemann, Begründer der Homöopathie, der seinen eigenen Therapieansatz in vier Schriften veröffentlichte.

Schon zu dieser Zeit vermutete er, dass das sogenannte Choleramiasma „in einem unsern Sinne entfliehenden lebenden Wesen menschenmörderischer Art” besteht. Laut Philosoph Fechners Untersuchung von 54 angeführten Forschern war Samuel Hahnemann der Einzige, der Kleinlebewesen annahm und der Krankheitsursache nahe kam.

Hahnemann blieb seinem inzwischen angenommenen Grundsatz treu, auch Cholera als ‘feststehende Krankheit’ entsprechend feststehend zu behandeln, indem er gleichförmig Kranken dasselbe Mittel verabreichte. Mit seiner ,therapia magna sterilisans’ empfahl er als erster Arzt mit Kampferspiritus als Heilarznei – aber auch Schutz- und Desinfektionsmittel – eine Anwendung gegen die Choleragefahr.

In fortgeschrittenen Krankheitsstadien empfahl er den Symptomen entsprechende homöopathische Arzneien.

Damit stand er alleine auf weiter Flur. Die von Hahnemann empfohlene Behandlung zeigte sich bald als außerordentlich wertvoll und erfolgreich. Sogar Medizinalbehörden mussten sein Verfahren widerstrebend empfehlen.

Aber Hahnemann dachte noch weiter, um weitere Ansteckungen und eine weitere Verbreitung unmöglich zu machen: er verlangte, dass alle in Quarantäne oder dort in Kontakt tretende Personen „ihre Wäsche usw. zwei Stunden lang einer Backofen-Hitze von 80 Grad aussetzen. Dies sei eine Hitze, in welcher alle bekannten Ansteckungsstoffe und so auch die lebenden Miasmen vernichtet werden. Währenddessen wird ihr Körper durch schnelles Waschen gereinigt und mit reiner, leinener oder barchentner [dick baumwollene] zum Hause gehöriger Bekleidung versehen.“

Dies war schlichtweg revolutionär in der abendländischen Medizin.

Köthen zur Zeit Hahnemanns

Dieses Bild entstammt der 1922 erschienenen Hahnemann-Biografie von Richard Haehl und zeigt Köthen zur Zeit Hahnemanns.

Wenn man bedenkt, dass Hahnemann weder die Mikroskopie in dem Maße zur Verfügung stand, wie der neuzeitlichen Wissenschaft, noch die persönliche Beobachtung von Cholerakranken (in Köthen) möglich war, so dass er ausschließlich auf die eingehenden Krankheitsschilderungen und Symptomenbeschreibungen seiner Freunde und Schüler angewiesen war, die er um solche ausdrücklich und dringend ersucht hatte, so ist es geradezu erstaunlich, mit welcher Bestimmtheit und Sicherheit er, wohl als erster, auf das Choleramiasma als auf ein „Lebewesen niederer Ordnung, das in seiner Kleinheit unsern natürlichen Sinnen entrückt sei“, hinwies, und wie er dann, aus dieser Erkenntnis schließend, die ansteckende Eigenschaft der Krankheit, die durch persönliche Berührung weiterverbreitet werde, mit aller Bestimmtheit behauptete und festhielt. Aus dieser seiner Auffassung kamen dann auch seine für die damaligen Verhältnisse so auffallend wirksamen Gegenmittel.

So sorgte die Choleraepidemie von 1831 zu einer sprunghaft gesteigerten Akzeptanz der Homöopathie, die bis zum heutigen Tag weltweit und im Wesentlichen unverändert praktiziert wird.

Hahnemann, 1829